Zu Besuch bei einem Dichter

Franz Freiherr von Gaudy

1800-1840

Zum 220. Geburtstag

Zu Besuch bei einem Dichter – unter diesem Motto möchte das Kleist-Museum, Frankfurt (Oder) an den vor mehr als 220 Jahren am 19. April 1800 in Frankfurt an der Oder geborenen Dichter Franz Freiherr von Gaudy erinnern.

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Zu seinen Lebzeiten geschätzt und im 19. Jahrhundert viel verlegt und gelesen, galt Gaudy im 20. Jahrhundert nur noch als hübsch humoristischer Spätromantiker. Schon in seiner Schulzeit hatte er dichterische Versuche unternommen, sein Schreiben konnte er während einer 15-jährigen Armeezeit in schriftstellerische Erfolge verwandeln.

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Nach 1833 lebte Gaudy als freier Schriftsteller in Berlin. Hier gehörte er zum schöngeistigen Kreis um Adelbert von Chamisso, an dessen Musen-Almanach er häufig mitwirkte. Gaudy, der Französisch sprach und dazu Spanisch, Italienisch, Polnisch und Dänisch beherrschte, veröffentlichte auch Übersetzungen, etwa nach J. U. Niemcewicz und A. Mickiewicz, J.-P. de Béranger und der legendären Clotilde de Surville.

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Hier soll Gaudy vor allem in selbstbiografischen Beschreibungen neu entdeckt werden. Seine Schriften und Zeichnungen haben oft einen selbstironischen Ton und öffnen den empfindsam-tragischen Weltkreis des Künstlers. Darin zeigt sich ein mitunter abenteuerlich-bewegter Lebensentwurf des 19. Jahrhunderts, geprägt von Freundschaften und Liebe, Reisen und künstlerischem Erfolg, aber auch von häufigen Duellen, Krankheit und andauernder Geldnot.

Die beiden Gaudy-Porträts wurden entnommen aus der Publikation: Fedor von Zobeltitz, Aus Franz Freiherrn Gaudys Jugendtagen. Ein Kindertagebuch, Mutterbriefe, Gelegenheitsgedichte und Karikaturen in: Zeitschrift für Bücherfreunde. Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen. Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz, Vierter Jahrgang, 1900/1901, Erster Band, Bielefeld und Leipzig, Verlag von Velhagen & Klasing, S. 16, 22. – Die Abbildung der Gaudy-Handschrift wurde entnommen aus der Publikation: Fedor von Zobeltitz (Hg.), Das Karikaturenbuch des Franz Freiherrn von Gaudy, Verlag Ernst Frensdorff, Berlin 1906, Tafel 33 verso.- Fedor von Zobeltitz (1857-1934) schrieb 1900/1901 u.a.: „Ich gehöre zu Gaudys Verwandten. Seine Mutter wie meine Großmutter waren Gräfinnen Schmettow aus dem Hause Pommerzig.“

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Franz Freiherr von Gaudy: Besuch bei einem Dichter

Als Schriftsteller von Profession hielt ich es für Gewissenssache, während meiner Anwesenheit in Berlin alle Gelehrte und Autoren von nur halbwegem Ruf von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen. Nicht der Zehnte besäße diesen Muth und gäbe nach einem bloßen Hinblick auf Hitzig’s gelehrtes Berlin das Projekt als unausführbar auf, zumal wenn er erwägte, daß die Zahl der in diesem Werke nicht aufgeführten Autoren, der obscuren wie der später nachgeschossenen, legio sei. Wie gesagt, ich hatte die Courage, versuchte wenigstens die Möglichkeit zu leisten, und stattete unter andern dem Freiherrn Franz Gaudy in der elften Vormittagsstunde eines Oktobertages meinen Besuch ab.

Dieser Herr Franz Freiherr Gaudy — weshalb mag er wohl niemals von und immer nur Freiherr schlechtweg schreiben? Vielleicht macht er sich nichts aus den drei ominösen Buchstaben, und will den Leuten blos zeigen, daß er ein freier Herr sei und sich um Niemanden scheere. Wer kann’s wissen — also dieser Herr Gaudy, welcher einer schlauen Kritik des Herrn O. Gruppe zufolge, durch einige gelungene Dichtungen bekannt seyn soll, wohnt in der Markgrafenstraße Nr. 87 auf gleicher Erde, wie ich dies auch im Berliner Wohnungsanzeiger ausnahmsweise richtig bemerkt fand. Sein Name steht auf einem rothlakirten Blech an der äußersten Stubenthür — das Zimmer hat nämlich Doppelthüren.

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Als ich anklopfte, rief der Autor dreimal mit ziemlich barscher Stimme: Herein! Ich machte ihm mein Kompliment und war noch artig genug, wenn ich äußerte: er möge meine Zudringlichkeit mit der lebhaften Begierde, einen der Heroen der neueren Literatur kennen zu lernen, geneigtest entschuldigen. Der Baron warf das Kinn in die Höhe und schien sich weder aus meiner Visite noch aus meinen Artigkeiten sonderlich viel zu machen; nichts destoweniger nöthigte er mich auf den Sopha, welches ich jedoch nicht annahm und mich auf einen seiner fünf Stühle niederließ.

Herr Franz von Gaudy ist ein Mann von 37 Jahren, sieht aber jünger aus und ist, um seinen Steckbrief vollständig zu entwerfen, von kaum mittler Statur. Seine Haare sind braun bis auf den Einschlag der allmälig sprossenden grauen; seine ziemlich alltägliche Gesichtsbildung trägt einen gewissen mokanten oder vielmehr verdrießlichen Charakter.

Ein in’s röthliche spielender Schnurrbart, welcher, auf ungarische Manier, in zwei langen Zipfeln bis weit unter das Kinn hängt, ist das merkwürdigste an seiner Visage. Er trug ein kleines Tuchkäppchen, welches er bei meinem Eintreten kaum lüftete und während der ganzen Dauer des Besuchs aufbehielt. Seine Kleidung bestand übrigens aus einem Schlafpelz und blauen mit Gold und Silber ausgenähten Pantoffeln, auf welche, als das Geschenk eines Freundes, der sie ihm aus Petersburg mitgebracht, er sich viel einzubilden schien. Er rauchte aus einer langen Pfeife, mochte auch, nach der Masse der im Winkel stehenden Rauchinstrumente zu schließen, ein großer Verehrer des Nicotianischen Krautes seyn.

Die Wände des Zimmers waren mit Familien-Portraits in goldnen Rahmen dekorirt. Am Fenster hingen, über und neben einander, die Bildnisse sämmtlicher Dichter, welche bisher dem Deutschen Musenalmanach als Schutzheilige vorangezogen. Uhland hing dicht neben Heine und schien diesen ingrimmig anzuschauen. Der Schreibtisch war mit Büchern, sehr unleserlichen Manuscripten und anderm Schriftsteller-Handwerkszeug belastet. Ein blanker Dolch zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Herr von Gaudy bemerkte meine Befremdung und erläuterte: dies sei sein Radirmesser. Ich verhörte mich anfänglich und verstand Rasirmesser. Er mußte über meinen Irrthum lachen. Eine schwarze Stange Siegellack bewog mich zur Frage: ob er vielleicht einen werthen Verwandten betraure? Er schüttelte aber kalt, und brummte: er siegle nur schwarz. Auf einem Seitentisch standen zwei leere Flaschen, der Form nach Burgunderflaschen, — beriechen durfte ich sie schicklicherweise doch nicht.

Ich machte dem Dichter mein Kompliment über seine neueren Schriften, welche ich mit größtem Interesse gelesen zu haben versicherte. In Parenthese gesagt, eine Lüge, da in jetziger Zeit ein Autor keinen andern liest als sich selber. Herr von Gaudy äußerte obenhin: was er in den letzten Jahren geschrieben, sei nicht des Aufschneidens der Blätter Werth. Der große Haufe verlange Disteln und nichts als Disteln. Ananas und Melonen verfaulten unberührt, nicht anders, als ob im Gebiet der Literatur die Cholera herrsche, und sich ein Jeder wehre. Er für seinen Theil habe den ganzen Bettel von Herzen satt. Wir gingen auf andere Schriftsteller über. Herr Franz Gaudy äußerte sich ziemlich wegwerfend über die Neueren, namentlich über die Neuesten, wobei er den Chamisso’schen Vers „das Neue will nur selten mir gefallen“ zitirte. Dagegen sprach er wieder seine Bewunderung für Männer wie Achim von Arnim, Clemens Brentano, Eichendorff, Hempel aus — alles Leute, die ich kaum dem Namen nach kannte.

Während unserer Unterhaltung trat ein Kurrendejunge in’s Zimmer, um das Honorar für seine Gassenkonzerte einzutreiben. Der Baron packte den Schwarzmäntler beim Kragen und warf ihn sans façon aus der Thür. Als ich einen leisen Tadel über das brüske Entfernen des armen Chorschülers wagte, entgegnete der aigrirte Poet:

Ohne die gehörige Dosis Grobheit kommt man in jetziger Lumpenzeit nicht mehr durch. Der verdammte Singsang hat mich bereits aus einem halben Dutzend Häuser, in denen ganz hübsche Töchter waren, vertrieben; jetzt ist man nicht einmal auf der Straße mehr seines Trommelfells sicher.

Hierauf stichelte er ziemlich unverblümt auf stoffarme Tagesblatt-Skribenten, welche sich bei namhaften Leuten eindrängten, um ihre Personalia auszuschnüffeln und nachher das ganze Zeug brühwarm wieder abdrucken zu lassen. Ich entgegnete hierauf mit gerechter Empfindlichkeit: Von meiner Seite wenigstens sollen Sie sich über keine Indiscretion zu beschweren haben, und dies um so weniger, da der Besuchende kein anderer, als der Besuchte selber ist. Das hochverehrte Publikum wird dieser Betheurung gewiß vollen Glauben schenken, besonders wenn ich sie durch meine vollständige Namensunterschrift bekräftige.

Franz Freiherr Gaudy

Markgrafenstraße Nr. 87, den 21. October 1837.

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Seit spätestens Ende April 1836 wohnte Gaudy in der Markgrafenstraße Nr. 87. In einem Brief an Adelbert von Chamisso schrieb er am 1. Mai 1836: Ich benachrichtige Sie übrigens daß ich schon in Ihrer Nähe mein Domizil aufgeschlagen habe. Markgrafenstr. 87. parterre, rechter Hand wenn man vorn ins Haus tritt. Mehrere ernstlich gesinnte Vorübergehende habe ich bereits gefragt: Wie mir das Haus zu Gesicht stände? Männer antworteten schlechthin: gut. Frauen aber: ich stände dem Hause gut. 

Der Gaudy-Text wurde entnommen aus der Publikation: Rudi Schweikert (Hg.), Schwarze Siegel, Texte Franz Freiherr Gaudys, edition text + kritik GmbH, München 1986, S. 25-27. – Der Auszug aus dem Gaudy-Brief wurde entnommen aus der Publikation: Rainer Hillenbrand (Hg.), Halbzahm in einer Lumpenwelt. Briefe von und an Franz Freiherrn Gaudy, Verlag Peter Lang Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2002, S. 77. – Nach den Recherchen von Rainer Hillenbrand befindet sich das Manuskript des Briefes in der Staatsbibliothek Berlin.

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